Habe ich ein Recht auf 40-Stunden Woche?

11 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet
Kann mein Chef einfach so von mir verlangen Freitags zu Hause zu bleiben

Nein!

oder habe ich ein Recht auf meine 40-Stunden Woche?

Ja!

Die Beschäftigung (und selbstverständlich auch die Bezahlung) für die Dauer der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit - in Deinem Fall von 40 Wochenstunden - gehört zu den vertraglichen Hauptpflichten des Arbeitgebers.

Beschäftigt er den Arbeitnehmer nicht so ausreichend wie vereinbart - gleichgültig, aus welchen Gründen (ob er nicht kann oder nicht will, spielt keine Rolle, und auf ein "Verschulden" seinerseits kommt es nicht an) -, fallen die Konsequenzen aus der Minder- oder Nichtbeschäftigung ihm zur Last.

"Zu wenig Arbeit" wegen schlechter Auftragslage ist das Risiko des Arbeitgebers, das er nicht dadurch auf den Arbeitnehmer abwälzen darf, dass er ihn weniger als vereinbart beschäftigt!

Du bist also trotz zu wenig vorhandener Arbeit so zu bezahlen, als hättest Du die vereinbarten, tatsächlich aber nicht voll gearbeiteten 40 Wochenstunden doch geleistet, und musst die Minusstunden auch nicht nacharbeiten oder mit Deinen Ansprüchen (Entgelt, Urlaub usw.) gegen den Arbeitgeber verrechnen lassen.

Geregelt ist das im Bürgerliche Gesetzbuch BGB § 615 "Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko":

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. [...] [Das gilt] entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.

In Deinem Fall also fällt die Tatsache, dass Du freitags wegen Auftragsmangels nicht beschäftigt wurdest, in die Verantwortung Deines Arbeitgebers, die alleine er zu tragen hat.

Minusstunden kann er (außer aus dem bisher schon genannten Grund) auch dann nicht anrechnen, wenn kein Arbeitszeitkonto vereinbart wurde, das auch den Umgang mit Minusstunden regeln würde: kein vereinbartes Arbeitszeitkonto - keine Minusstunden.

Urlaub darf auch deswegen dafür nicht angerechnet werden, weil das der Zweckbestimmung des Urlaubs widersprechen würde (das betrifft zumindest den gesetzlichen Urlaubsanspruch; für zusätzlich gewährten Urlaub kann anderes vereinbart worden sein).

Auch die Anordnung von Kurzarbeit ist nur über eine vertragliche Vereinbarung mit den betroffenen Arbeitnehmern erlaubt.

Aber:

Strenggenommen ist Voraussetzung (eigentlich), dass der Arbeitnehmer diesen Zustand (dass er nicht für die vereinbarte Zeit beschäftigt wird) nicht widerspruchs- oder kommentarlos hinnimmt, sondern seine Arbeitskraft auch anbietet! Du solltest dem Arbeitgeber also möglichst gesagt haben, dass Du mit der Nichtbeschäftigung (dem öfteren Nach-Hause-schicken montags und freitags) nicht einverstanden bist.

Auch das ist gesetzlich festgelegt im BGB § 293 "Annahmeverzug" in Verbindung mit § 294 "Tatsächliches Angebot".

Doch vielleicht ist Deinem Arbeitgeber diese Bedingung - Deine Erklärung, dass Du mit der Nichtbeschäftigung nicht einverstanden bist - ja einfach nicht bekannt.

Wenn der Arbeitgeber die Minusstunden trotz Zahlungsverpflichtung mit Deinem Entgelt oder Urlaubsanspruch verrechnet oder Dich nacharbeiten lässt, musst Du dem nicht zustimmen und kannst Bezahlung auch für diese Minusstunden verlangen.

Für die Geltendmachung solcher Ansprüche musst Du Fristen beachten:

Entweder gibt es vertraglich vereinbarte kurze Ausschlussfristen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (arbeitsvertraglich mindestens 3 Monate, tarifvertraglich mindestens 1 Monat, meist 3 Monat oder zweistufig 6 Monate), nach deren Verstreichen diese Ansprüche verfallen sind.

Oder es gilt - wenn keine Ausschlussfristen vereinbart wurden - die gesetzliche Verjährungsfrist von 3 Jahren nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch BGB § 195 "Regelmäßige Verjährungsfrist"; Forderungen aus 2019 z.B. können dann noch bis zum 31.12.2022 geltend gemacht werden.

Dass in diesem Fall trotz dieser - angeblichen oder tatsächlichen - Lage Arbeitnehmer eingestellt und Leiharbeitnehmer beschäftigt werden, macht die Sache durchaus dubios!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Beruf/Ehrenamt, lange private Beschäftigung mit Arbeitsrecht

medprob1 
Fragesteller
 26.08.2019, 19:09

Vielen lieben Dank für deine sehr ausführliche und erhellende Antwort!

Es ist ja nun so, dass mein Chef mir durch einen neuen Vertrag ein Zeitkonto aufzwingen will. Ich will gerade in dieser unsicheren SItuation nicht unbedingt als Quertreiber in Erscheinung treten - wenn ich also in das Zeitkonto einwillige, muss ich die Stunden nicht nacharbeiten?

Und was ist wenn ich mir jetzt aktiv einen neuen Job suche und in sagen wir mal 3 Monaten mit 100 Minusstunden aus der Firma ausscheide - kann mein Chef dann beim letzten Lohn das Geld für die Minusstunden einbehalten?

Vielen Dank schon mal im Voraus, du hilfst mir wirklich sehr weiter! Danke!

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Familiengerd  26.08.2019, 19:57
@medprob1

Ein Zeitkonto ist eigentlich "normal".

Das bedeutet aber nicht, dass es dem Arbeitgeber damit dann erlaubt wäre, dem Arbeitnehmer Minusstunden aufzuzwingen, wenn er zu wenig Arbeit hat.

Die Minusstunden, die in der von Dir beschriebenen Situation (Arbeitnehmer wurden nach Hause geschickt, weil zu wenig Arbeit vorhanden war) angefallen sind, gehen mit oder ohne Arbeitszeitkonto "auf die Kappe" des Arbeitgebers.

Und wenn bisher bei Dir aus diesem Grund schon Minusstunden von ihm angerechnet worden sind, kannst Du unter den von mir genannten Voraussetzungen auch noch nachträglich vom Arbeitgeber verlangen, dass diese Stunden von ihm bezahlt werden (bzw. dafür angerechneter Urlaub wieder gutgeschrieben wird).

kann mein Chef dann beim letzten Lohn das Geld für die Minusstunden einbehalten?

Generell nein - unter den genannten Voraussetzungen, wozu auch der Abschnitt unter "Aber" gehört, dass Du dem Arbeitgeber mitgeteilt hast, dass Du mit der Freistellung nicht einverstanden bist (sofern der Arbeitgeber überhaupt Kenntnis von dieser Voraussetzung hat).

Wenn der Arbeitgeber aber juristisch informiert ist, also weiß, dass er die Minusstunden anrechnen darf, weil der Arbeitnehmer es versäumt hat, diesen angeordneten Minusstunden zu widersprechen, so darf er aber Entgelt nur bis zur Pfändungsfreigrenze einbehalten, das heißt, dass er nur so viel einbehalten darf, dass einem Arbeitnehmer ein bestimmter Grundbetrag bleibt, den der Arbeitgeber nicht "antasten" darf. Wie viel der Arbeitgeber je nach Entgelthöhe und Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers von dessen Entgelt einbehalten darf, ersiehst Du aus der Pfändungstabelle z.B. auf dieser Seite: https://www.schuldnerberatung-diskret.de/pfaendungstabelle , allgemeinere Informationen z.B.hier: https://www.finanztip.de/pfaendungstabelle/ und einen Pfändungsrechner z.B. hier: https://www.juraforum.de/tools/pfaendungsrechner#pfaendungsrechner .

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medprob1 
Fragesteller
 26.08.2019, 20:17
@Familiengerd

Also werde ich jetzt erstmal auf die Zähne beissen und das Zeitkonto akzeptieren. Ist ja irgendwo auch ein Spagat - ich will nach Möglichkeit einen Rechtsstreit vermeiden und eigentlich arbeite ich ja auch gerne in der Firma.

Wenn die Minusstunden im Grunde keine Bedeutung haben, ist das ja auch kein Problem. Widersprechen sollte ich ja sinnvollerweise schriftlich?

Irgendwie leuchtet es mir noch nicht ein zu widersprechen und dann trotzdem das Spiel mitzumachen, ein Arbeitsgericht würde da vermutlich sagen "selbst schuld"

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zumindest merkwürdig ist das schon, nach meiner persönlichen Ansicht ist Kurzarbeit nicht gestattet, wenn dabei neue Leute eingestellt werden,.....geh mal zum Anwalt


medprob1 
Fragesteller
 26.08.2019, 17:22

Ja das stimmt. Bei uns war schon mal Kurzarbeit vor vielen Jahren. Da müssen dann erst alle Leiharbeiter gehen und es können sogar Leute gekündigt werden. Wenn es wirklich zur Kurzarbeit kommt, wird natürlich vorher entlassen.

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medprob1 
Fragesteller
 26.08.2019, 17:24
@ChristianKlaus

Ja ich weiss... Ich habe nur geschildert, was vor der letzten Kurzarbeit passierte - alle Leiharbeiter wurden abbestellt und 1 Mitarbeiter wurde entlassen. Ob das so sinnvoll oder rechtsmäßig war steht natürlich auf einem anderen Blatt...

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An Deiner Stelle würde ich zwei Dinge tun: Fleißig Bewerbungen schreiben und zum Anwalt gehen. Denn, wenn Du letzteres tust, wirst möglicherweise Recht bekommen, aber gleichzeitig das Betriebsklima vergiften. Dann wäre es gut, einen neuen Job zu finden.


medprob1 
Fragesteller
 26.08.2019, 18:56

Bisher die brauchbarste Antwort, vielen Dank! Anwalt kann ich mir nicht leisten und selbst wenn - dann wäre ich danach auch auf der Abschußliste... Also bleibt mir wohl nichts anderes übrig als Bewerbungen zu schreiben :( Schade, mein Job macht mir sehr viel Spaß und ist so nah an meiner Wohnung dass ich zu Fuß gehen kann... Man wird auch überall nur verarscht :(

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Generell darf der Chef Dir keinen Urlaub abziehen oder Dir Minunsstunden aufbrummen. Natürlich ist die Auftragslage ärgerlich aber das fällt unter den Bereich "unternehmerisches Risiko" und darf euch nicht zu Lasten gelegt werden.

Auch wenn Du mit Deinen Vorgesetzten nie Probleme hattest und Du Deinen Job liebst, würde ich Dir vorschlagen da mal einen Anwalt für Arbeitsrecht drüber schauen zu lassen.
Fakt ist, dass es so nicht zulässig ist.

Nun wenn du im Vertrag Sachen ala Kurzarbeit stehen hast, dann geht das. Ansonsten ist deine Arbeitszeit, deine Arbeitszeit. Das du zutun hast, darum muss sich dein Chef kümmern. Ansonsten kannst du dort die Wand anstarren und Cheffe muss zahlen.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung – Softwareentwickler/Projektleiter seit 2012