deutsches Jujutsu und japanische Jujutsu?

2 Antworten

Die Unterscheidung ist tatsächlich etwas verwirrend da es sich hierbei nur um unterschiedliche Alliterationen der selben japanischen Schriftzeichen handelt. In der Umsetzung unterscheidet sich beides allerdings erheblich.

Jiu Jitsu bezeichnet historisch ersteinmal ein loses Konzept von meist unbewaffneten Nahkampftechniken des japanischen Militärs vom späten Mittelalter bis zur frühen Neuzeit.

Jiu Jitsu kann mit "Die safte Kunst" übersetzt werden und wurde so bezeichnet da es die sanftere Alternative zu Waffengewalt darstellte. Z.B bei Gefangennahmen war dies sehr nützlich. Im gegensatz zum Karate, das aus dem chinesischen Kung Fu hervorging, welches wiederrum von Mönchen entwickelt wurde und dementsprechend einen starken spirituellen Einfluss aufwies, war Jiu Jitsu historisch schon immer Praxis- und Zweckorientiert. Philosophische Strömungen fanden erst durch Einflüsse aus dem Karate und später in den 1940ern durch den Begründer des Aikido Ueshibe Morihei, einzug in das Jiu Jitsu. Mit der industrialisierung Japans ging das Jiu Jitsu nahezu vollständig verloren und wäre heute ausgestorben wenn nicht Kano Jigoro als erster Mensch überhaupt ein einheitliches System geschaffen hätte das später als "Judo" bekannt wurde. Dies unterschied sich damals noch stark vom modernen Judo und war der Ursprung für die Kampfkünste Ju Jutsu in Deutschland, Brazilian Jiu Jitsu in Brasilien und Sambo in der Sovietunion. Während Sambo heute den Ringerstilen anverechnet wird aufgrund seiner Ablehnung japanischer Budotraditionen und Ju Jutsu, Judo und BJJ klar definierte Regelwerke haben,bezeichnet Jiu Jitsu heute in der Regel alles was sich nicht wirklich einer dieser Kategorien zuordnen lassen will aber aus der selben Ursprungsquelle entstanden ist. Alle haben dabei einen starken Fokus auf Würfe, Takedowns, Würgegriffe und Hebel gemeinsam. Alle diese Kampfformen versuchen den Kraftunterschied so weit wie möglich auszugleichen.

In der Praxis ist Jiu Jitsu also eher der Oberbegriff, während Ju Jutsu das ursprüngliche Judo mit schlag- und Tritttechniken ähnlich denen des Karate verbindet.

Der deutsche Jiu Jitsu Verband spricht sich offen gegen Wettkämpfe aus, hat aber mit dem historischen Jiu Jitsu der Samurai ungefähr soviel zu tun wie ein Yogakurs in einem Fitnessstudio mit dem Yoga indischer Yogis.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Wettkampfsportler seit 6. Lebensjahr

Moin, ich nehme an bei der von dir verlinkten Frage wurde es so beantwortet weil nur nach der Schreibweise gefragt wurde und nicht nach den Unterschieden zwischen traditionellem Ju-Jutsu und modernem / deutschem Ju-Jutsu. Die Kanji sind in beiden Fällen gleich, so gesehen gibt es da keinen Unterschied, aber die Schreibweise Jiu-Jitsu wird wohl oft verwendet um traditionelles Ju-Jutsu zu bezeichnen.

Mit persönlicher Erfahrung wo genau die Unterschiede in der Praxis liegen kann ich leider nicht dienen, ich nehme auch an, dass traditionelles Jiu-Jitsu eher selten ist und die Unterschiede in der Praxis eher fließend.

Aber ich habe eine etwas ausführlichere Erklärung gefunden:

>> Der "große" Unterschied
Oft wird das Jiu-Jitsu mit dem Ju-Jutsu und das Ju-Jutsu mit dem Jiu-Jitsu verwechselt, bzw. wissen nur Insider um die Existenz beider Stilrichtungen. Rein äußerlich, also nach der technischen Ausführung, erkennen auch Kenner und Könner den Unterschied nur sehr schwer, bezieht er sich doch vorrangig auf die administrativen, ethischen und historischen Hintergründe. Die Bezeichnungen Jiu-Jitsu und Ju-Jutsu besitzen beide dieselbe Übersetzung ("sanfte Kunst") und bedienen sich derselben Kanji (jap. Schriftzeichen). Dies erklärt auch, warum international, vor allem im englischsprachigen Raum, beide Begriffe synonym benutzt werden und sich Unterschiede zwischen verschiedenen Stilen des Jiu-Jitsu oder Ju-Jutsu nur durch die genaue Bezeichnung der Stilrichtung (Ryu) manifestieren.
Beide Stile haben ein Ziel: Sie wollen dem Übenden die Möglichkeitgeben, sich im Ernstfall auch ohne Einsatz von Hilfsmitteln seiner Haut zu erwehren. Wozu dann zwei fast identische Stile?
Gehen wir zur Klärung dieser Frage zuerst auf die Entstehungsgeschichte beider Stile ein. Das Ju-Jutsu entstand um 1969 als Auftragsarbeit des Deutschen Judo-Bundes (DJB), der herausragende Meister aus dem Judo, Aikido und Karate damit beauftragt hatte, ein DJB-eigenes, deutsches Selbstverteidigungssystem zu schaffen. Das Ju-Jutsu in Deutschland ist also ein noch relativ junges System, das eine Synthese verschiedener Kampftechniken darstellt, quasi ein Kunstprodukt (ohne den negativen Beigeschmack dieses Wortes einbeziehen zu wollen). Das Jiu-Jitsu in Deutschland sieht sich - je nach Verband und dessen Zielrichtung - in der unmittelbaren Tradition zum japanischen Jiu-Jitsu der Samurai und / oder zum Kano-Jiu-Jitsu, dessen philosophisch-methodisches Element, der Do, fest implementiert ist. Besonders sind hier das "Ökonomieprinzip", also der Grundsatz vom größtmöglichen Nutzen einer Technik bzw. möglichst geringem Einsatz, und das "Sozialprinzip", in dem erstmals die gegenseitige Verantwortung der Trainingspartner und die Verantwortung des Jiu-Jitsuka über das Dojo hinaus festgelegt wurde, zu erwähnen.
Die unterschiedlichen Entstehungsgeschichten finden ihren Niederschlag auch in den verwendeten Trainingssprachen. Bedient man sich im Ju-Jutsu der deutschen Bezeichnung von Techniken, legt man im Jiu-Jitsu die originalen japanischen Bezeichnungen zugrunde.
Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zwischen beiden Stilen besteht in der Konzeption der technischen Ausbildung. Stellt das Ju-Jutsu ein System dar, begreift sich das Jiu-Jitsu als Methode. In der Umsetzung bedeutet dies, dass der Schüler im Ju-Jutsu einen fest vorgeschriebenenWeg von Technikvorgaben durchläuft, die von den Verantwortlichen als ideal festgelegt wurden. D.h. jeder Schüler einer bestimmten Gürtelstufe muß dieselben Techniken absolvieren und beispielsweise bei Prüfungen beherrschen. Diese Techniken sind verbindlich vorgeschrieben.
Die Methode des Jiu-Jitsu beschränkt sich selbst darauf, dem Schüler die einzelnen Bauteile einer Technik und sinnvolle Kombinationen dieser Einzelteile zu vermitteln. Der Schüler hat dadurch die Möglichkeit, Techniken entsprechend seiner persönlichen Präferenzen zu entwickeln. So ist es möglich, dass im Grunde jeder Jiu-Jitsuka sein eigenes, ganz persönliches Jiu-Jitsu entwickelt und sich solche Techniken für den Ernstfall aneignet, die er instinktiv und aus eigenem Antrieb umsetzen kann. Diese Offenheit ermöglicht es schließlich auch, dass ständig Techniken und Abläufe anderer Stile in das Jiu-Jitsu übernommen werden, wodurch sich eine schier unglaubliche Bandbreite an Möglichkeiten ergibt. Diese Vielseitigkeit wird dem Jiu-Jitsu von Kritikern und Gegnern gelegentlich vorgeworfen, bezeichnen Außenstehende es teilweise doch als "hochkünstlerische, überladene Selbstverteidigung". Der Jiu-Jitsuka kann dem jedoch zweifellos entgegenhalten, dass eben diese Vielseitigkeit eine sehr hohe Effizienz im Falle eines Ernstfalls darstellt, aber auch ein ständig interessantes und abwechslungsreiches sportliches Betätigungsfeld gewährleistet. Schließlich wird auch niemand von ihm verlangen, alle Komponenten perfekt zu beherrschen, vielmehr ermöglicht ihm die Vielfalt ein organisches Wachstum seines Stils und dessen evolutionäre Änderung über die Jahre.
Der Unterschied zwischen Jiu-Jitsu und Ju-Jutsu bezieht sich also vorrangig auf die geistigen, moralischen und historischen Hintergründe und die Art der Ausübung und Ausbildung. Die Wahl der Stilrichtung und die Unterscheidung erstreckt sich daher für den Einzelnen eher auf eine Mentalitätsfrage, seine persönliche Zielsetzung und sein Interesse für die geistigen Hintergründe des Budo. Beide Stilrichtungen haben dasselbe Ziel und erreichen es auch, nur eben auf unterschiedlichenWegen. Das Ju-Jutsu als rein funktional ausgerichtete Kunst, das Jiu-Jitsu als Kunst, die zusätzlich versucht, die Traditionen zu wahren und einen eher individuell-experimentellen Ansatz bietet.
Viele junge Sportler und Funktionäre beider Stilrichtungen haben diese Ähnlichkeit zwischenzeitlich erkannt und sind dabei, die von verbohrten Stilfanatikern über Jahrzehnte errichteten Schranken und Vorbehalte wieder einzureißen. Letztendlich sollte sich seriöser Budosport nicht gegenseitig in Grabenkämpfen zerfleischen, sondern sich gemeinsam gegen all jene schwarzen Schafe stellen, die durch phantastische Versprechen, noch viel phantastischere Gürtelgrade und unglaubliche Gebühren versuchen, sich eine goldene Nase zu verdienen und das auf Kosten aller seriösen Budoka.
Matthias Holder
Ehemaliger Referent für Öffentlichkeitsarbeit<<
https://jiu-jitsu-traditionell.de/jiu-jitsu/

Weitere Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ju-Jutsu
https://de.wikipedia.org/wiki/Jiu_Jitsu
https://www.djjv.de/startseite (Verband für modernes Ju-Jutsu)
https://djju-nw.de/jiu-jitsu/ (Verband für traditionells Jiu-Jitsu)

Woher ich das weiß:Hobby – Aikido seit 2007, Nishio Aikido / Aikido Toho Iai seit 2015