Was sagen weltliche Historiker zu der biblischen Einlassung, dass Juden in Ägypten als Sklaven gehalten wurden?

6 Antworten

Hierzu solltest Du Dir Informationen zur Stadt Auralis oder Avaris zukommen lassen.

An Rande jener Stadt am pelusischen Nilarm (sicher auch andernorts in der Region) erscheint erstmals eine kleine Siedlung die (Bauweise etc.) auf Personen aus dem (oberen?) Levante hinweist - also Kanaäer oder Aramäer. Anfangs nur sehr kleine, ärmliche Häuser (Arme Arbeiter, Sklaven?) nahmen sie mit dem (wohl schleichenden) Machtverfall gegen Ende des mittleren Reiches von Ägypten schwand die Macht immer mehr Einfluss.

Ein (ehemals) reicher Ägypter schrieb damals:

Fürwahr, die Wüste hat sich im ganzen Land ausgebreitet … und die Ausländer sind nach Ägypten gekommen … Es gibt keine Ägypter mehr. Sklavinnen tragen Halsketten aus Gold

Komplett siehe hier: Papyrus Leiden I 344 – Wikipedia

Dies lässt sich auch in den Baustilen der Prachtbauten architektonisch nachvollziehen. In dieser Zeit wurde nur noch Mittelägypten von ägyptischen Königen regiert (der Begriff Pharao kam eigentlich erst später auf, auch wenn viele heute bei allen ägpytischen Königen von Pharaonen sprechen). Das Nildelta wurde von einem kanaäitischen Volk beherrscht. Sie hatten viele Götter, der oberste (der auch wechseln konnte) wurde Ba'al genannt. Der Name findet sich in dem Kulturkreis in Vielen Namen, bis zu den aus den phönizischstammenden Karthagern (Hanibal = Baal ist gnädig) oder Städte, die auch darüber hinaus existieren (Baalbek).

Auch in der Bibel finden sich in den frühen Zeiten viele Namen mit "bal".

Die Kamose-Stelen besagen (Siegesbericht des Kamose – Wikipedia), dass Kamose wieder Nubien und Teile des Deltas erobern konnte, die Stadt Auralis selbst wurde aber erst durch den Nachfolger Ahmose erobert.

Die Einwohner des ganzen Landes wurden offenbar nach dem Sieg großflächig versklavt. Siehe Felsengräber von el-Kab – Wikipedia / Grab des Ahmose (nicht der König, gleicher Name).

Viele ("weltliche") Wissenschaftler gehen davon aus, dass die biblische Geschichte eine Vermischung aus der Flucht nach dieser verheerenden Niederlage als auch eine später Flucht oder Vertreibung ist (einige "Pharaonen" später wird berichtet, dass keiner der Israeliten mehr im Lande sei).

Aus verschiedenen Funden ergibt sich, dass fast zur gleichen Zeit der Supervulkan Thera (größter Vulkanausbruch in der Zivilisationsgeschichte) in Griechenland ausgebrochen sein muss. Die Unwetterstele des Ahmose (Unwetterstele – Wikipedia) berichtet über extreme (Wetter)erscheinungen, die zum Teil sehr starke Ähnlichkeiten mit Schilderungen zu göttlichen Wundern in der Bibel haben. Es wirs auch vom "verfluchten Land" gesprochen - fas Gegenteil könnte zum Bespiel ein "gelobtes Land" sein. Und die Mitglieder des Königshauses hatten alle 'Mose(s)' im Namen. Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass es bei so vielen Übereinstimmungen kaum Zweifel geben kann, dass es hier zwischen der biblischen Geschichte und der realen Geschichte Zusammenhänge gibt.

Interessanterweise: Wenn man Thera mit Auralis (dem späteren Pi-Ramesse/Ramesse oder (Stadt)Ramses) verbindet ... schaut mal wo man da hinkommt. Wenn man genau von der Naturgewalt weg fliehen möchte, kommt man genau auf die Fluchtrute des "Auszugs aus Ägypten" - und der Umweg über den Sinai zum späteren gelobten Land wird plötzlich verständlich.


Schemset  16.12.2023, 17:39

Die Übereinstimmungen sind schon irgendwie da... Aber ich finde, die Chronologie passt nicht so ganz. Das "gelobte Land" , in das die Hyksos fliehen konnten, stand in den folgenden fast 500 Jahren unter ständigem Einfluss des Ägyptischen Reiches, während in den biblischen Berichte aus der Richterzeit nicht viel von Ägyptischen Kriegszügen und Bergbautätigkeit zu lesen ist... Und Hinweise auf Monotheismus tauschen archäologisch auch erst später auf.

0
Stefan997  16.12.2023, 19:40
@Schemset

Das Thema wird auch hier wissenschaftlich genauer beleuchtet: Israel in Ägypten lange vor Pharao Merenptah? » Archäologische Spatenstiche » SciLogs - Wissenschaftsblogs (spektrum.de)

Der Staat Israel in der Eisenzeit (der ja nicht lange existierte) wurde etwa 500 Jahre nach Kamose gegründet (je nach jüngerer/älterer Datierung). Damit ist dieser "ständige Einfluss" ohnehin gegeben. Gerade im 13. Jahrhundert war Ägypten in der Levante besonders präsent. Ihr Einwand kann daher nur gelten, wenn man von einer stark verdichteten Zeit grob innerhalb der 20. Dynastie bzw. des Seevölkersturms und des anschießenden "dunklen Zeitalters" ausgeht. Dies war im 20 Jahrhundert noch der bevorzugte wissenschaftliche Ansatz.

Einige Gründe (meiner Meinung nach die Hauptgründe) der Sicht waren:

  • Die Datierung über die Merenptah-Stele (sie Artikel oben)
  • Der Name der statt Ramses (müsste demnach frühestens zu Ramses I entstanden sein).

Auaris ist aber identisch ist mit Pi-Ramesse, es wurde umbenannt (ggf. leicht verlegt) (Pi kann je Kontext im ägyptischen weggelassen werden und Ramesse auch Ramses heißen ('e' wird nicht mitgeschrieben). Zu dem Zeitpunkt, als die Bibel geschrieben wurden (babylonische Gefangenschaft) wird der neuere Name Ramses verwendet worden sein.

Mit der Datierung nach Merenptah müssten viele Angaben der Bibel falsch sein (unter anderem gab es kein Jericho mehr, dass man hätte besiegen können, siehe Link oben).

Interessanterweise geht die Bibel offenbar selbst von einem frühen Landnahmetermin aus, was die Wissenschaftler des 20. JH aber eher der historischen Unzuverlässigkeit der Bibel zuschrieben (meine Quelle unten, auf welche Bibelstellen dies sich bezieht ist mir unbekannt):

Dass das Alte Testament selbst eine Datierung angab und den Exodus auf 1450 und die Landnahme auf kurz vor 1400 v. Chr. verlegte, war dann eher Zeichen für seine historische Unzuverlässigkeit als Anlass zum Umdenken.

(Seit wann existiert Israel: Auszug aus Ägyptens Archiven - Spektrum der Wissenschaft)

Die Anmerkung zum Monotheismus: Das ist richtig. In Ägypten flackerte der Monotheismus kurz unter Echnaton auf. Dies wäre demnach NACH dem Auszug anzusiedeln. Also eher eine FOLGE des sich herausbildenden Monotheismus-Idee in Israel.

Auch wurde in Israel (vor dem babylonischen Exzil) kein strenger Monotheismus gelebt. Neben JHWH wurde Aschera verehrt - noch lange NACH dem Staat Israel - die ihm als Gefährtin begleitete. Die Verehrung einer anderen Göttin neben JHWH wurde dann auch teilwiese als Ursache dafür genannt, dass Gott seine schützend Hand von den Israeliten genommen hatte. Danach erst wurde alles nicht rein Monotheistische verband. Das war aber ein Prozess. Schon zu König Joschija steht geschrieben: König Joschija entfernte aus dem Tempel (2 Kön 23,4 EU) Gegenstände, „die für den Baal, Aschera und das ganze Heer des Himmels angefertigt worden waren.“

Ba'al war der Hauptgott der Völker, zu denen die Hyksos gezählt wurden. Auch den Tempel der Aschera meint man in Avaris lokalisiert zu haben (sie gilt als Meeresgöttin, was für eine wichtige Hafenstadt passt). Ba'al wurde als Stier dargestellt und das goldene Kalb (als Anrufung/Verehrung Ba'als) führte zu Moses bekannten "Wutausbruch", dass sie wieder einen alten Gott verehrten. Die Flüchtlinge waren also keineswegs zu diesem Zeitpunkt Monotheisten.

0

Der Begriff Sklaverei ist problematisch. Es gab im alten Ägypten keine Institution der Sklaverei analog zu Rom oder Amerika. Menschen waren nicht in den Status "frei" oder "unfrei" eingeteilt, es gab keine Sklavenmärkte, keine formelle Manumission, keine Halsringe.

Dennoch war Ägypten eine stark hierarchische Gesellschaft, und es gab Diener, Arbeiterinnen und Bauern, die in großer Abhängigkeit lebten. Ich würde nur eher von Dienern sprechen, da der Begriff "Sklave" etwas irreführend ist.

Unterägypten, also das Nildelta, hat schon seit frühester Zeit eine gewissen Austausch mit der Levante (der östlichen Mittelmeerküste) - das zeigt nicht nur die Archäologie, sondern auch die moderne Genetik. Dass also irgendwelche Volksgruppen nach Ägypten einwanderten oder wieder auswanderten, war relativ normal. Gerade das östliche Nildelta war schon immer ein Schmelztigel. Von daher könnte die Exodusgeschichte sich auf alle möglichen kleineren Wanderungsbewegungen beziehen.

Die Epoche, die für die biblische Überlieferung relevant sein könnte, ist das Neue Reich (18.-20. Dynastie) und die Spätzeit. In der 18. und 19. Dynastie gab es gleich mehrere Könige (Thutmosis III, Amenophis II, Ramses II ...) die nicht nur Kriegszüge in die Levante unternahmen, sondern auch in großem Stil Gefangene machten und als Arbeitskräfte mit nach Ägypten verschleppten.

Das würde die Anwesenheit levantinischer Diener und Mägde in Ägypten plausibel machen, widerspricht aber der biblischen Schilderung (danach sind die Israeliten ja freiwillig eingewandert und wurden erst im Land irgendwann versklavt.)

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Grundstudium Ägyptologie und Geschichtswissenschaft
Was sagen weltliche Historiker zu der biblischen Einlassung, dass Juden in Ägypten als Sklaven gehalten wurden?

Dass das in der ägyptischen Historie gar nicht berichtet wurde.

Juden in Ägypten als Sklaven

Ueber Sklaven nicht. Sonst habe ich das gefunden:

Der überraschend alte Block könnte zum Schlussstein ihres Theoriengebäudes werden, demzufolge es tatsächlich einen "Auszug aus Ägypten" gegeben hat, wenn auch deutlich früher als angenommen – vielleicht um das Jahr 1500 v. Chr.
https://www.spektrum.de/news/seit-wann-existiert-israel-auszug-aus-aegyptens-archiven/1071078
Was sagen weltliche Historiker

Für die Forschung ist da weniger interessant wie die Exodusgruppe in Ägypten gelebt haben könnte, sondern eher welches historische Ereignis oder Volk den Erinnerungen der biblischen Exodusmythen zugrunde liegen könnte. Ich persönlich favorisiere da die Hapiru-These.