Lieber Simon,
kennst Du eine Autistin kennst Du nur eine Autistin!
Nach einem Treffen wird oft Ruhe benötigt, das kenne ich auch so. Es müssen nach einem Treffen keine Meltdowns oder Shutdowns auftreten, das passiert nur bei absoluter Reizüberflutung und Überforderung, dann sollte Ursachenforschung betrieben werden, gibt es Dinge die sie nicht handeln kann während der Treffen?
Allerdings kenne ich es so: es wird gefragt ob der/die Freund/in gut zu Hause angekommen ist, weil man sonst keine Ruhe hat bis Gewissheit herrscht (kommt auch auf die individuellen Ängste an, -- Ängste gehören u.a. zu den zahlreichen Comorbiditäten). Auch von sich selbst aus wird nach Treffen gefragt, sich auf Nachrichten gemeldet, aber da kann es zu Verzögerungen kommen von einigen Stunden bis Tagen, manchmal wird es dann auch ohne Böswilligkeit ganz vergessen, kommt vor, dann einfachnoch einmalhöflichnachfragen. Oder es ist umgekehrt und wird zu konkret und zu detailreich nanachgefragt. Auch kann es vorkommen, dass die Grenzen des anderen nicht eingeschätzt werden können und sich darum als Überkompensation entweder zu viel oder lieber gar nicht gemeldet wird, bevor man dann doch wieder zu viel für die andere Person ist!
Aber wie ich Dich verstehe, nimmt sie keinerlei Kontakt auf, mich wundert, wie es dann möglich war den Erstkontakt aufzubauen und wie weitere Treffen zustande kamen, irgendwann wird sie sich ja dann offensichtlich doch gemeldet haben?
Wie tritt sie mit ihren anderen "Freunden " in Kontakt?
Also, außer, dass Du noch einmal mit ihr sprichst, fällt mir wenig ein was ich Dir ganz konkret raten könnte.
Ohne Dir und ihr jetzt zu nahe treten zu wollen oder Dich verletzen zu wollen, drängt sich mir anhand Deiner Beschreibung ihres Umgangs mit ihren "Freunden" und auch mit Dir, die Frage auf, ob sie den Kontakt mit Dir weiterhin wünscht, wenn sie sich so ambivalent verhält? Es könnte doch sein, dass sie so eingeschüchtert ist, Dich nicht verletzen will, dass sie sich nicht traut das zu kommunizieren? Aber, natürlich sind das nur Vermutungen meinerseits.
Stelle ihr konkret die Frage, ob ihr den Kontakt aufrecht erhalten sollt, dass Du nicht böse sein wirst, wenn sie das nicht möchte und sie dann auch in Ruhe lassen wirst. Eine klare Antwort auf eine klare Frage und Du wirst am ehesten Gewissheit bekommen! Eventuell fürchtet sie auch die weiteren Erwartungen, welche eine konventionelle Liebesbeziehung konkret an sie stellen könnte.
Falls sie den Kontakt möchte, dann musst Du mit ihr im Detail ausmachen, wie ein sich bei einander melden aussehen sollte, das sie nicvt stresst. Manche Autistinnen brauchen da eine ganz klare Struktur (andere nicht) um es in ihren mitunter strikten Tagesablauf integrieren zu können. Meldest Du Dich zu unterschiedlichen Uhrzeiten oder wenn schon ein anderes Ritual auf ihrem Plan steht, stört das u.U. ihre Struktur. Viele Autistinnen mindern den Druck der ständigen Reizüberflutung durch eine rigide Alltagsroutine: z.B.: 9Uhr Aufstehen, zuerst Zähne putzen, dann wird der Rollo hoch gezogen bevor man unter die Dusche geht, weil man dann das Licht besser ertragen kann, wenn man schon etwas länger wach ist und das darum immer so macht.....12Uhr Mittagesssen, an Dienstagen gibt es immer Bratkartoffeln mit Salat und Ei, das Ei darf nicht zu sehr verrührt sein, weil die Konsitenz eventuellProblememacvt bei zu fester oder zu flüssiger Struktur....Manche autistische Menschen essen nur weisse Lebensmittel (oder eine andere Farbe, egal, meist im Kleinkindalter aber manche behalten Sowas bei, das ist jetzt wieder ein Einzelfall und zugegeben ein Extrembeispiel aber ich möchte damit nur die Individualität und ebenso die Besonderheiten in manchen Bereichen heraus streichen!)....etc. Es gibt Autistinnen die brauchen mehr Routinen als andere. Es kommt auch darauf an wie weit sie im Spektrum ist. Manche Autistinnen lernen nicht sprechen, nicht weil sie nicht intelligent wären, sondern weil sie in jedem gesprochenen Wort eine Abweichung hören zu dem selben Wort das kurz davor ausgesprochen wurde (versteht man was ich meine?),sie reden nicht weil sie können also nicht perfekt genug sein, also lassen sie es gleich ganz bleiben, auch das ein Extrem aber realistisch.Es gibt einen autistischen Mann der per Helikopterflug danach ganze Städte aus seinem Kopf zeichnen kann, nur weil er sie von oben sah, in allen Details...das zeigt wie stark die Wahrnehmung sein kann, in dem Fall nennt man das Inselbehabung, das hat nicht jede Autistin, aber manche und die Begabungen sind sehr individuell. Andere Autistinnen sind so hochgunktionell, dass sie keine Diagnose haben und sich unerkannt in Deinem Freundes und Bekanntenkreis befinden können!
Deine größte Hilfe könnte also zum einen ihre Mutter sein und zum anderen sehr klare Gespräche in denen ihr Deine Bedürfnisse klar gemacht werden und sie weiß, dass ihr freier Wille geäußert werden darf (also ihre Bedürfnisse die selbe Wichtigkeit haben) und sie die Situation jederzeit kontrollieren kann ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Der Aufbau von Vertrauen kann dauern. Ihre Mutter kann Dir helfen Struktur in die Kommunikation zu bringen: z.B.: wir melden uns bei einander jeden 2. Abend nach den Nachrichten, um 20:10Uhr 5 Minuten lang und beenden die Kommunikation nach 5 Minuten, vor dem Spielfilm um 20:15Uhr.....(auch wieder nur als Beispiel, bitte , es soll sich niemand angegriffen fühlen!)
Unterbrechungen von Routinen können Ängste auslösen. Eine Autismustherapie und eine systemische Therapie könnten unterstützend wirken. Eventuell sind Medikamente (Antidepressiva, Amphetamine o.ä.) notwendig. Aber das sollten Ärzte in einem Zentrum für seelische Gesundheit beurteilen oder ein guter Neuropsychiater.
Ich verstehe nicht, warum die Eltern oder Betreuer den Kontakt zu ihren destruktiven Freunden zulassen. Aber wie gesagt, ich kann nur anhand dessen urteilen, was Du schreibst und das ist zu wenig um die Komplexität der Situation in Gänze erfassen zu können.
Rede mit ihr, hol die Familie als Unterstützung mit ins Boot und stelle sicher, dass sich Deine Freundin auch wohl fühlt mit alledem!
Alles Gute