Was bedeutet Selbstverletzung für Betroffene?

4 Antworten

Ich habe 2022 mit Selbstverletzung aufgehört, habe es aber vorher viele Jahre lang getan. Für mich war es ein Ventil für alle möglichen negativen Gefühle die ich hatte.

Was bedeutet Selbstverletzung für Bettoffene?

Ein Umgang mit den Problemen über die ich lange Zeit mit niemandem sprechen konnte. Ein Weg um am Leben zu bleiben. Sucht. Scham.

Was denken und fühlen sie darüber?

Sehr durchmischt, anfangs als ich nicht wusste was ich da tue war ich einfach erleichtert, dass ich mir selbst "helfen" kann. Ab dem Punkt wo ich mit Ritzen angefangen habe war mir aber klar, dass das schlecht ist. Gefühle sind einerseits innere Ruhe und Erleichterung, andererseits Schuldgefühle, Scham und Wut.

Meist habe ich am Anfang gar nichts gedacht, ich hatte einfach nur ein starkes Gefühl und habe mir aus Automatismus wehgetan. Dann kam erst einmal ein Gefühl von Erleichterung und nach ein paar Minuten immense Schuldgefühle, manchmal Wut auf mich. Allein das war teilweise genug, um es sofort wieder zu tun.

Warum machen sie das

Dieser Teil ist kopiert von https://www.gutefrage.net/frage/warum-begehen-menschen-sv#answer-546169591

  • bei Schuldgefühlen als Bestrafung
  • als Ventil für Wut
  • um etwas zu spüren wenn ich mich wegen Depression oder Dissoziation taub gefühlt habe
  • für ein Kontrollgefühl bei Unsicherheit oder Angst
  • um mich von seelischen Schmerzen abzulenken
  • als stiller Hilferuf
  • um mich von Suizidgedanken abzulenken
  • aus Hass auf den eigenen Körper (Dysphorie, Dysmorphie)
  • und irgendwann einfach nur noch, weil ich süchtig war
  • teilweise mit suizidaler Absicht
  • oder um Blut zu sehen
und warum wird das zur Sucht?

Soweit ich weiß vor allem deswegen, weil der Körper bei Verletzungen Dopamin ausschüttet. Eigentlich, damit man in Gefahrensituationen trotz Schmerzen weiter klar denken und handeln kann, aber dadurch hat Selbstverletzung Suchtpotenzial.

Außerdem ist es eine Gewohnheit geworden, sowas normalisiert sich mit der Zeit. Und durch psychische Probleme hatte ich immer das Gefühl, dass es mir nicht "schlecht genug" geht, also musste ich immer weiter machen um zu "beweisen", dass ich wirklich am Ende bin.

Und wie gesagt, es wird ein Teufelskreis: Man hat negative Gefühle, verletzt sich selbst, hat kurz darauf noch schlimmere Gefühle und macht weiter. Selbstverletzung ist viel einfacher als sich Hilfe zu suchen und hat viel schneller einen Effekt. Und die langfristigen Probleme sind einem entweder egal (zB. weil man wegen Depressionen eh keinen Sinn mehr sieht) oder man erkennt sie erst zu spät.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – In Recovery von Trauma, Depression, Phobie und SVV

Lolabunnyjjd 
Fragesteller
 20.05.2024, 15:26

Wow, vielen Dank für deine lange und ausführliche Antwort!

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Irvin82  20.05.2024, 20:04
@Lolabunnyjjd

Gerne! Ich bin inzwischen an dem Punkt angelangt, wo ich (meistens) über solche Themen sprechen kann ohne mich selbst zu triggern und das möchte ich nutzen, um mehr Verständnis zu schaffen :)

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Lolabunnyjjd 
Fragesteller
 20.05.2024, 22:29
@Irvin82

Ich bin dir sehr dankbar für deine Offenheit. Im Nachhinein ist mir noch die Frage gekommen, was dich 2022 motiviert hat mit Sv aufzuhören, welche Gedankengänge?

Für diese nachträgliche Antwort wäre ich dir auch noch überaus dankbar :)

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Irvin82  21.05.2024, 08:36
@Lolabunnyjjd

Ich wollte tatsächlich schon viel früher aufhören und da meine Depressionen immer in Episoden gekommen/schlimmer geworden sind, habe ich es zwischendurch auch mehrfach für einige Monate geschafft, aber weil niemand wirklich davon wusste und ich keine Hilfe hatte, habe ich es nie weiter geschafft.

2022 habe ich mich meinen Eltern endlich weit genug anvertraut, um Diagnosen und anschließend Therapie (KVT) zu bekommen. Als die Therapie richtig begonnen hat, war ich bereits wieder bei 5 Monaten und dachte, ich bekomme es mit Hilfe auch hin das weiterzuführen. Ich bin zwar Rückfällig geworden (ich war psychisch schon sehr labil und wurde dann extrem getriggert), aber habe es nach zwei Tagen wieder geschafft aufzuhören.

An meinem ersten Tag Clean-sein war ich auf einem CSD und habe da gemerkt, dass es keinen Spaß macht, wenn ich die ganze Zeit Wunden verstecke und nur an Selbstverletzung denke. Ich habe auch schöne Erinnerungen aus meiner Zeit mit Selbstverletzung, aber ohne wären sie viel schöner. Das war, und ist immer noch, ein großer Grund, warum ich nicht wieder angefangen habe. Bei den vorigen Versuchen clean zu werden war es nur, dass ich meine Eltern nicht belasten und enttäuschen will. Inzwischen habe ich eine ganze Liste, aber hauptsächlich will ich einfach gesund werden und mein Leben glücklich führen können. Es war also lange Zeit nicht mein eigener Wille, weshalb es mir geklappt hat, bis ich das 2022 durch die Therapie langsam gelernt habe. Und außerdem bin ich 2021 aus meinem Trauma rausgekommen, was auch notwendig war.

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Lolabunnyjjd 
Fragesteller
 21.05.2024, 09:44
@Irvin82

Danke dass du das so ausführlich beschrieben hast, durch deine Antwort kann ich das wirklich viel besser nachvollziehen und verstehen.

Ich hoffe dir geht es jetzt gut und ich wünsche dir nur das Beste :)

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Viele nutzen SV um mit Gefühlen wie Schmerz, Stress oder innerer Leere umzugehen.
Sie nutzen es, um Kontrolle zu erlangen und auch zur Beruhigung.

Es kann deswegen auch zur Sucht werden, obwohl es ja langfristig schädlich ist.

Die meisten haben dann auch ein geringes Selbstwertgefühl und haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle anders auszudrücken.

Die Gründe und Gefühle varriieren aber bei jedem.

Viele sind tatsächlich auch dazu bereit, darüber zu sprechen, um es Aussenstehenden einfacher zu machen es zu verstehen. Aber man muss da vorsichtig sein.

Es ist unterschiedlich, weshalb Leute die SV machen es tuen. Bei ein paar liegt es daran, dass sie ein traumatisches Erlebnis in ihrem Leben erlebt haben, dass sie damit verdrängen möchten. Und die anderen, weil es in psychisch generell schon nicht gut geht und so.

Es ist für betroffene (spreche aus Erfahrung.) wie eine Erlösung, wenn du es machst, dann kannst du für ein paar Sekunden einfach alles mal vergessen, es ist für die meisten wie nh droge, wenn du einmal angefangen hast kannst du so schnell nicht mehr aufhören.

Diesen Schmerz den man dabei fühlt, ist manchmal einfach "hilfreich" dabei dass du deine Probleme vergisst.

Hast du noch andere Fragen?

Lg

In erster Linie ist es erstmal ein Ventil. Durch die Verletzung hat man für einen kurzen Moment das Gefühl das die Körperliche Anspannung endlich mal für ein paar Sekunden nachlässt

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Leide seit Jahren unter schweren komplexen PTBS