Was hat sich eurer Ansicht nach in den Jahren von 2000-2023 in den Schulen verändert - außer vereinzelter Technologiefortschritt?

6 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

2000 war ich noch einige Jahre in der Schule, aktuell bzw. 2023 habe ich zumindest beruflich bedingt immer wieder Einblicke. Da hat sich schon so Einiges getan an verschiedenen Ecken und Enden.

Der markanteste Einschnitt ist meiner Ansicht nach die aktuelle Lehrergeneration. Das sind nicht selten solche Erwachsene, die so sind wie die, vor denen wir als Kinder und Jugendliche gewarnt wurden - Typen in zerrissenen Jeans und Turnschuhen, die halb verlottert vor den Kiddies stehen oder Lehrerinnen in arg knappen Outfits, die in Social Media teils sehr peinliche Sachen vom Stapel lassen und sich dann noch wundern, warum sie niemand ernst nimmt. Zum Vergleich: Bei uns galt schon ein Lehrer als tendenziell unseriös, der in einer Jeans unterrichtete - das war allenfalls Freizeit- und Gartenkleidung.

Ansonsten ist die Haltung der Schulträger anders: Die Kommunen und Kreise sind heute viel offener für die Bedürfnisse der Schulen, auch gibt es oftmals Fördervereine, die ein Auge auf die Ausrüstung haben und als mal Ausflüge oder Projekttage und Präventionstage (etwa im Sinne von Verkehrserziehung) einrichten oder auch Dinge wie einen Wasserspender, ein Internet-Café oder moderne Werkgeräte für den Unterricht sponsern. Teilweise auch mit Fokus auf Berufsorientierung, was bei uns damals sehr stiefmütterlich war - heute scheint das ganz anders zu sein und ist es den Lehrern nicht mehr einfach egal, was aus ihren Zöglingen nach dem Abschluss wird.

Ich habe ansonsten vor genau zehn Jahren (da war ich beruflich bedingt vor Ort) auch mal eine Schulverabschiedung miterlebt, wo die Jugendlichen mit dem Radetzky-Marsch verabschiedet worden sind - so nach dem Motto "so, jetzt könnt ihr zum Bund" - ich glaube, so was gäbe es heute gar nicht mehr.

Schulen sind heute oftmals (nicht immer!) keine grauen Bunker mehr, deren Tristesse an eine Kadettenanstalt erinnert und in denen graue Anzugträger in militärischem Drill wirken und nicht selten persönliche Fehden auf den Kinderköpfen austragen (das gab es bei uns noch - ein Lehrer hat es meinen Cousin und mich spüren lassen, dass er 30-40 Jahre eher Probleme mit zwei Familienangehörigen gehabt hat und sich ungerecht behandelt fühlt), sondern vielerorts schön möblierte, lebhafte Häuser mit Wohlfühl-Charakter, wo die Kinder eigentlich ernst genommen und auf Augenhöhe behandelt werden. Ein Lehrer, der mit den Schülern Tischkicker spielt in der Pause, wäre bei uns damals undenkbar gewesen - das hätten die nur dann für eine gute Publicity gemacht, wenn der Redakteur der Lokalzeitung an der Schule vorbeigeschaut und die Kamera ausgepackt hätte.

Mobbing aller Art wird heute eher ernstgenommen als damals. Es gibt sicher noch große Defizite und vieles bleibt ungesühnt, weil es auch schambehaftet ist, aber die Haltung dazu ist nicht mehr so "desinteressiert" und falsch wie bei uns damals - in unserer Klasse gab es so 2001/02 mal einen Fall von Klospannerei und Fleischbeschau in der Sporthalle. Drahtzieher war ein Liebling des Konrektors; ich habe an der Bushalte das Gespräch mitbekommen wo der Konrektor zu dem Klo- und Hallenbadspanner sagte, er solle vielleicht gewisse Leute künftig in Ruhe lassen, weil dessen Vater ein Auge drauf wirft und nicht zimperlich ist was Polizei und Anwalt angeht und der Schule schon mal wegen anderer Sachen mit einem Anwalt aufkreuzte und beim Schulamt Ärger machte, aber solange ER hier Konrektor ist wird nix passieren. So was ginge heute nicht mehr - wenn die Eltern so was rauskriegen, ist Polen offen und gibt es Terz ohne Ende; da rollen die Köpfe.

Ich selbst habe ansonsten noch nach der 2000 (!) einige sehr dunkle Auswüchse miterlebt bis hin zu Alltags-Rassismus, der damals Standard war und wo heute jeder aufstehen würde, wenn es ihn gäbe ähnlich wie bei Mobbing.

  • Zunächst denke ich vor allem an Schwarze Pädagogik im Allgemeinen - gern auch unter Einbeziehung menschlicher ("wenn du nicht parierst, wird deine Mama dich nicht mehr lieb haben") oder auch religiöser ("wenn du nicht brav bist, schickt dich Gott in die Hölle") Druckmittel. So was habe ich in der fünften und sechsten Klasse der Realschule (Schuljahre 2001/02 und 2002/03) noch miterlebt - wir hatten damals noch sehr alte Lehrer kurz vor der Pensionierung, wo es auch zu körperlichen Übergriffen kam. Leider hat der Rektor nichts unternommen und der Konrektor war auch einer dieser "Schläger-Lehrer", dessen Spitzname sogar was mit "Watsche" zu tun hatte.
  • Stichwort religiöse Demütigungen -----> es gedenkt mir noch gut, als der Religionslehrer uns in der zweiten Klasse erzählte, die Welt ginge am 31. Dezember 1999 unter; die Bösen und nicht Folgsamen kämen in die Hölle und die Guten ins Paradies. Einer meiner Freunde fragte damals verunsichert, ob es dann eine neue Welt gäbe, aber der Lehrer verneinte deutlich. Mein Banknachbar fing an zu weinen und verkroch sich unter der Bank, weil er Angst hatte, er käme gleich in die Hölle - er war ein "Quatschmacher" der Klasse. Ich habe das Ganze nach der Schule gleich meinem Opa gesagt und der Opa meinte ... das ist Quatsch und wenn es soweit sein sollte, ist das so lange hin, dann gibt's uns alle sowieso nicht mehr und ruhen wir in Gottes Hand. Das war im Juni oder Juli 1999. Wir hatten alle Riesen-Angst. Würde ein Lehrer heute so was Barbarisches erzählen, wäre bald Zappenduster.
  • Besonders schlimm war eine Schönstatt-Schwester, die in der Realschule katholische Religion unterrichtete. Sie lebt noch, ist heute in einer Art Schönstattzentrum mit Ordenstracht und Ordensnamen ansässig, ach so fromm und lieb; so fromm, dass sie beim Vaterunser und "Gegrüßet seist du Maria" weinte, hat Köpfe der Kinder aus nichtigen Gründen mit voller Wucht auf die Bank gedrückt, den Mädchen die Zöpfe lang gezogen und einem Kind aus der Parallelklasse Ende 2001 bei einer solchen archaischen Tischdrückaktion das Nasenbein gebrochen. Der Vater von dem Kind kam damals während dem Religionsunterricht ins Klassenzimmer (ich kannte den, später im Berufsleben war er ein Kunde von mir und erklärte mir das, als wir mal auf die Frau kamen) und sagte zu ihr vor der ganzen Klasse, wenn er ihr jetzt so richtig eine in die Fr... haut, kostet ihn das vielleicht 1000 D-Mark Strafe und es wäre ihm das Geld wert, aber das Niveau sei ihm zu niedrig. Gab einen Riesen-Eklat damals, ich kann mich noch gut erinnern. Der Rektor wusste alles, aber er sagte wie bei anderen alten Lehrern, die wird jetzt bald pensioniert, das kriegt man auch noch rum. Wir saßen die Frau schlussendlich einfach aus, nahmen sie irgendwann nicht mehr ernst und waren im Juli 2002 alle froh, als sie verabschiedet wurde. Davor hatte ein Mitschüler die Lehrerin "weggeekelt", indem er ihr Gesicht aus einem Lehrerfoto groß raus kopiert, an die Wand geklebt und vor lauter Wut auf diese Frau mit Dartpfeilen geworfen hatte, während sie just zum Halten der Religionsstunde ins Zimmer gelaufen kam. Sie war "vor Schreck" dann erstmal einige Wochen "krank".
  • Es gab an dieser Schule auch eine Lehrerin, die offen rumstänkerte auf Schüler aus der "Dädärä" (DDR) und "Sch...-Russengesichter" und diese auch so anredete - wenn so was heute passieren und publik werden würde, um Gottes Willen, das wäre wohl Rassismus. Ich weiß in dem Zusammenhang von einem Neuntklässler russlanddeutschen Hintergrunds, der Ende 2003 einen dieser älteren Lehrer, der ihn wiederholt provoziert und beleidigt haben muss (was ich dem Lehrer zutraute; der war hämisch) aus lauter Frust mal eben die Treppe vor dem Klassenzimmer runterschubbste, so dass der Mann sich die Achilles-Sehne gerissen hat. Wir waren schon schadenfroh, als dieser zu vielen Kindern gemeine und stichelnde Lehrer, der nach außen hin so schön tat mit Städtepartnerschafts-Komitee und AWO und Gemeinderat usw. dann mehrere Wochen nicht zur Schule kommen konnte und es hieß, er müsse operiert werden wegen der Sache. Danach war der Lehrer auf einmal richtig nett, aber ich traute ihm bis zu meinem Abschluss 2007 nicht über den Weg.
  • Es war zumindest in der Vorstadt auch lang geläufig, Familienzwistigkeiten bzw. Streitigkeiten zwischen Erwachsenen auf dem Rücken der Kinder auszutragen, weil sie sich nicht wehren konnten. Der schon erwähnte Konrektor hat es zum Beispiel auch noch Anfang der 2000er-Jahre doch tatsächlich fertig gebracht, uralte Streitereien zwischen rivalisierenden sudetendeutschen Clans (er war auch Sudetendeutscher) noch 30-40 Jahre später auf Kindern und Enkeln derer auszutragen, mit denen er mal Probleme gehabt hat oder wo er dachte, dass er damals zu kurz gekommen sei.

So was gibt es heute nicht mehr so oft wie damals, was nicht heißt, dass es das nicht mehr gibt. Es ist nur verpönt und wenn so was rauskommt, kann man sich seiner sicher sein, dass es richtig, richtig Ärger gibt und es Folgen haben wird, egal ob ein Lehrer den Kindern mit der Hölle droht oder ihnen sagt, dass die Mama sie verstoßen wird, wenn sie nicht artig sind. Wir waren damals so verschüchtert, dass wir das in uns reinfraßen ... die Kiddies von heute sind evtl. auch selbstbewusster als wir es damals gewesen sind und die Eltern und viele Lehrer sind aufmerksamer und hellhöriger.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
rotesand  07.08.2023, 14:41

Aber mit fällt was ein, das früher eventuell besser war. Oftmals hat man da die Kinder sich überlassen und war das Normendenken noch nicht so ausgeprägt.

Ich sage es mal frank und frei -----> wenn ich heute der ruhige Jugendliche wäre, der ich damals war, hätte sicherlich irgendeine Junglehrerin, die vor der Verbeamtung noch gut Wetter machen will, Alarm geschlagen und hätte ich bei irgendeinem Arzt irgendein "Syndrom" attestiert bekommen, wegen dem ich Pillen schlucken und zweimal pro Woche irgendwo zur Therapie gehen müsse.

Früher waren die Leute in dem Sinne trotz verschiedener Unzulänglichkeiten auch toleranter nach dem Motto, die Menschen sind halt so, wie sie sind und einem 55-jährigen Lehrer war es egal, was da im Busch war. Wenn Schüler ABC etwas quirliger und aufgeweckter war, war er halt ein Tunichtgut, den man ausgesessen hat und wenn Schüler XYZ etwas ruhiger und introvertierter war, war es halt ein Sensibelchen, das so mitgezogen wurde nach dem Motto, es kommt ja keiner zu Schaden, das ist eventuell ein Spätentwickler, der den Draht zum Leben bestimmt auch noch findet.

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Wer war denn 23 Jahre in der Schule, um das wirklich beurteilen zu können?

janvalperz 
Fragesteller
 06.08.2023, 19:47

Lehrer bspw, gibt es auf GF sicherlich auch

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LortOnY  06.08.2023, 19:48
@janvalperz

Ja, aber die kamen in deinen gewählten Themen nicht vor. Weder Lehrer, Lehramt oder Bildung.

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Tannibi  06.08.2023, 19:56

Ich kann z. B. ganz gut beurteilen, was sich in der
Zeit im Autobau verändert hat, ohne in der Branche zu arbeiten.

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Von meinen Eltern weiß ich das sich nur so Kleinigkeiten geändert haben aber meiner Meinung nach hat sich echt nicht so viel getan am Schulsystem

Technischer Fortschritt ist ansonsten noch mehr zurückgegangen.. Nur das Mobbing hat sich digitalisiert

Nichts Wesentliches. Allerdings ist die
Schule auch einer der schwerfälligsten und
neuerungsresistentesten Bereiche des Staates.